FG Tragkonstruktionen | DFG-Projekt

Die Korrespondenz Leo von Klenzes mit Russland 1834 –1856

Ein europäisches Forschungsprojekt

In den Petersburger Museen und Archiven, vereinzelt auch in den umfangreichen Bauakten russischer Ministerien befinden sich bislang verstreute, nur fragmentarisch ausgewertete Dokumente – Briefe, Sitzungsproto­kolle und Architekturprogramme – des bayerischen Hofbauintendanten Leo von Klenze. Es handelt sich dabei um mehr als 300 sich gegenseitig ergänzende, überwiegend eigenhändige Schriftstücke mit oft ausführlichen Vermerken seiner Projektpartner. Obwohl ihr inhaltlicher Schwerpunkt mit Klenzes Beauftragung als Architekt des kaiserlichen Museums der schönen Künste, der Neuen Eremitage (1839–1852), verbunden ist, beinhaltet diese Korrespondenz auch eine Fülle von Materialien zu seiner Beteiligung an weiteren Aufträgen, vor allem für die Isaakskathedrale sowie zu verschiedenen höfischen, gesellschaftlichen und künstlerischen Kontakten im Umfeld seiner Tätigkeit.

Parallel dazu befinden sich in der Bayerischen Staatsbibliothek München zahlreiche Schriftstücke Klenzes mit unmittelbarem Bezug zu Russland – etwa 180 Briefe und Briefentwürfe, darunter seine eigenen, rückblickend verfassten Aufzeichnungen –, die den Petersburger Fundus in jeder Hinsicht ergänzen und bislang keine adäquate Auswertung erfahren haben. Beide Bestände sind großenteils auf die gleichfalls in Petersburg und in München archivierten Planmaterialien bezogen, dort vor allem auf die Baupläne in der Staatlichen Graphischen Sammlung und im Architekturmuseum der Technischen Universität.

Mit einer vollständigen Erfassung und wissenschaftlichen Analyse der Schriftstücke und deren Zusammenführung soll ein neuer, detaillierter Kenntnisstand zum Werk Leo von Klenzes erreicht werden wie auch zur wechselseitigen Auseinandersetzung des neben Preußen bedeutendsten deutschen Kunstzentrums Bayern mit der damaligen europäischen Großmacht Russland. Die noch keineswegs hinreichend erforschte Neue Eremitage, einer der bedeutendsten und besterhaltenen Museumsbauten des 19. Jahrhunderts, steht dabei im Zentrum der Kommentierung.

Von ihrem Auftraggeber Nikolaus I. programmatisch konzipiert als „westeuropäische“ Innovation in der Petersburger Architektur – und damit als Gegenentwurf zum gleichzeitig errichteten „byzantinischen“ Großen Kremlpalast in Moskau –, blieb die Neue Eremitage für mehrere Jahrzehnte ein Schaufenster der architektonischen Weltanschauung des deutschen Spätklassizismus und hinterließ eine tiefe Wirkung auf die Entwicklung der Baukunst und die Ästhetik der frühen Romantik nicht nur im weiten Umkreis der russischen Hauptstadt, sondern auch in der Entwicklung des Bautyps Museum allgemein.

Die im Zusammenhang mit der Errichtung der repräsentativen Staatsbauwerke in Russland ausgetauschte Korrespondenz Klenzes bildet das seinerzeit seltene Beispiel einer breit angelegten, grenzüberschreitenden Fachdiskussion über die Aufgaben der zeitgenössischen Baukunst und ihre stilistische, funktionale und technische Entwicklung sowie über museologische Fragen.

Eine kritische, kommentierte Edition des einzigartigen Quellenfundus wird sowohl für die Kunst- und Architekturgeschichte als auch darüberhinaus für diverse historische Fachrichtungen und Fragestellungen von Interesse sein. Die kommentierte Publikation des systematisch erschlossenen Materials soll zum Verständnis der Prozesse und Motivationen des europäischen Kunst- und Wissenstransfers im 19. Jahrhundert unter Berücksichtigung regionaler Traditionen und Herrschaftsansprüche, der Entwicklungsstandards der Industrie und der künstlerischen wie technischen Ausbildung in Mittel- und Osteuropa beitragen.

Das Projekt stützt sich auf eine enge Kooperation mit den Institutionen in Deutschland und Russland, u. a. der Bayerischen Staatsbibliothek in München und der Staatlichen Eremitage in St. Petersburg.